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Brexit

von | 05.07.2016

Sehr geehrte (Mit-)Investoren,
die Briten haben sich mehrheitlich für einen Austritt aus der Europäischen Union entschieden, was zwischenzeitlich zu heftigen Marktverwerfungen geführt hat.
Unsere Vermögensverwaltungsstrategien waren davon nur eingeschränkt betroffen, da wir kaum britischen Werte, keine Bankaktien und insgesamt kaum europäischen Aktien im Fonds haben.
In den Tagen danach haben wir die teilweise attraktiven Kurse genutzt und gezielt durch Rebalancing Aktien nach- bzw. neu gekauft.
Brexit!
Die an Beispielen für politisches Chaos nicht gerade arme europäische Geschichte erlebt in den Tagen nach dem Brexit-Votum einen neuen Höhepunkt der politischen Kakophonie. Erstaunlicherweise scheint es in GB nämlich wenig bis keine Vorbereitungen gegeben zu haben, was im Falle eines Pro-Brexit- Votums zu tun ist. Im Ergebnis bricht die englische Politik inzwischen völlig auseinander. Der Premierminister Cameron ist zurückgetreten, seine Partei ist über die Nachfolge tief gespalten und der Brexit-Befürworter, Boris Johnson, hat sich in die Büsche geschlagen. Darüber hinaus haben Abgeordnete der Opposition („Labour“) ein Misstrauensvotum gegen den eigenen Parteichef angesetzt und gewonnen. Dieser weigert sich aber bislang zurückzutreten. Schottland will in der EU bleiben und ist bereit, sich dafür notfalls von England abzuspalten. Nordirland will ebenfalls in der EU bleiben und denkt über eine Wiedervereinigung mit Irland nach. Es liegen unruhige Monate vor dem (noch) Vereinigten Königreich.
In Europa wollen die einen (unter der Leitung Frankreichs) die Engländer so schnell wie möglich draußen haben, während die anderen (angeführt von Deutschland) hoffen, dass die Engländer einen „Exit vom Brexit“ vornehmen. Dies würde für die dortigen Politiker bedeuten, das rechtlich nicht bindende Ergebnis des Votums zu ignorieren. Eine Möglichkeit hierfür wäre schlicht keinen Antrag auf Austritt nach Artikel 50 zu stellen. Wir halten diese Variante für kaum durchführbar, da es eine extreme Missachtung einer demokratischen Wahl (mit hoher Wahlbeteiligung!) wäre und es sicherlich erhebliche kurz- und mittelfristige Konsequenzen für die Demokratien in GB und Europa hätte.
Alles nicht so einfach und die nächsten Probleme stehen schon vor der Tür. Im Herbst wird es in Italien ein Referendum über eines Verfassungsreform geben. Der italienische Premierminister Renzi hat bereits angekündigt, im Falle einer Niederlage zurückzutreten. Dies könnte der populären eurokritischen 5-Sterne-Bewegung des ehemaligen Komikers Beppo Grillo weiter Auftrieb verleihen, die jüngst bereits die Bürgermeisterwahl in Rom gewonnen hat. Letztlich wird auch im Oktober wieder implizit über die grundsätzliche Politik der Regierung und weniger über das explizite Thema (Verfassungsreform) abgestimmt werden.
In welch schlechter wirtschaftlichen Lage sich Italien mittlerweile seit Jahrzehnten befindet, zeigt folgender Vergleich. Bei der Frage welches Land seit dem Jahr 1990 mehr reales Wachstum hatte, Japan oder Italien, würden die meisten vermutlich Italien antworten. Leider ist dem nicht so. Japan erzielte seit 1990 ein reales Gesamtwachstum von +28%,
Italien dagegen nur 17%. Die verlorenen Jahrzehnte gibt es bedauerlicherweise nicht nur in Japan, sondern auch mitten in Europa. Angesichts dieser Zahlen werden die Schwierigkeiten Italiens mit dem Euro und die damit verbundenen Spannungen innerhalb der italienischen Gesellschaft weiter zunehmen. Uns fehlt offen gestanden weiter hinein eine Idee, wie sich die wirtschaftliche Lage in Europa (ex-Deutschland !!) angesichts der vorhandenen Strukturprobleme, der Rahmenbedingungen aus Brüssel und der Qualität der Politiker in Europa nachhaltig verbessern soll.
Zusammenfassung:
Wir sind weiterhin bereit Aktien aus Europa zu kaufen, aber die Bewertung muss absolut gesehen sehr attraktiv und relativ zuvergleichbare internationalen Werten deutlich günstiger sein. Denn insgesamt hat sich das Chance-Risiko-Profil für Europa durch das Brexit-Votum weiter verschlechtert. Es besteht die Gefahr, dass die Investorengemeinde die Risikoprämie für europäische Aktien im weltweiten Vergleich weiter erhöht, da die EU und der Euro nicht mehr als unumkehrbar eingeschätzt werden. Wir halten Italien und dessen Bankensektor derzeit für das größte Sorgenkind. Neben der quantitativen Lockerung durch die EZB wären Konjunkturprogramme eine weitere Möglichkeit die Probleme wieder einmal nach hinten zu verschieben. Allerdings hat sich Angela Merkel offenbar entschieden, an dem „Nicht-Verschuldungskonzept der schwarzen Null“ festzuhalten, was angesichts der niedrigen Zinsen allerdings wenig sinnvoll erscheint. Somit sind neue Konjunkturprogramme vor der Bundestagswahl 2017 unwahrscheinlich. Daher könnten die Probleme vor allem im nach wie vor „unaufgeräumten“ europäischen Banksektor wieder eher früher als später eskalieren. Auch wenn sich die Märkte kurzfristig wieder beruhigt haben, stehen Europa schwere Monate und Jahre bevor. Wir erwarten in den nächsten Monaten weitere Ausverkaufstage und sind hier für dank unseren Cashquote, in allen Portfolios gut vorbereitet.
Wie ruhig es seit Jahren trotz aller Krisen in unserem Portfolio Profi Balanced zugeht, sehen Sie an den folgenden Zahlen und Chart:
Ihr Tilmann Speck