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Aktien kaufen oder verkaufen?

von | 27.12.2017

Der gegenwärtige Börsenaufschwung dauert inzwischen mehr als acht Jahre und hat damit ein sehr reifes Stadium erreicht. Die ultralockere Geldpolitik der Notenbanken hat die Märkte aufgepumpt und es haben sich inzwischen Blasen gebildet. Insbesondere in den USA haben die Bewertungen mit einem Shiller-KGV von über 30 (gegenüber dem langfristigen Durchschnitt von 16 bis 17) luftige Höhen erreicht und die Stimmung ist teilweise euphorisch. Genau deshalb fürchten viele Börsenexperten eine bevorstehende scharfe Börsenkorrektur und raten zur Vorsicht. Soll man Aktien heute also kaufen oder verkaufen? Nun, eine stärkere Korrekturphase wäre nur gesund. Wie aus unserer Grafik der US-Bullen- und Bärenmärkte seit 1870 ersichtlich wird, sind solche Phasen (rot) mit Kursverlusten von mehr als 20 % völlig normal und bieten langfristig interessante Einstiegschancen für antizyklische Anleger. Allerdings lassen sie sich in der Regel nicht prognostizieren. Eine Korrektur kann morgen eintreten oder in drei bis vier Jahren. Als der US-Notenbankchef Allen Greenspan seinerzeit nach starken Kursgewinnen vor einer irrationalen Übertreibung gewarnt hatte, korrigierte der Dow Jones nur kurz, um sich dann in den Folgejahren erneut zu verdoppeln.
 
 

Aufwärtsbewegungen an den Aktienmärkten sterben selten an Altersschwäche. Wie aus der Grafik ersichtlich wird, gab es in der Vergangenheit zahlreiche Haussephasen mit deutlich höheren prozentualen Kursanstiegen als in der aktuellen Bewegung. Meist enden sie dadurch, dass eine restriktive Notenbankpolitik zu einem konjunkturellen Abschwung führt. Dazu reichen die bisherigen Zinsanhebungen aber nicht aus. Vor der letzten Finanzkrise erhöhte das FED die Geldmarktsätze schrittweise von 1 % auf 5 ¼ %. Und selbst danach ging die Hausse noch über ein Jahr weiter, bevor es zu der Krise am Häusermarkt kam.
Deutlich wird bei einer sorgfältigen Analyse aber, von welch zentraler Bedeutung die Zinsentwicklung für die Börsen ist. Die Bewertung von Aktien und Anleihen hängt direkt voneinander ab. So wird der innere Wert einer Aktie (Fair Value) als der Barwert der künftigen Unternehmensgewinne definiert. Und was für eine einzelne Aktie gilt, gilt logischerweise auch für die Märkte insgesamt. Die Bewertung der Aktienmärkte hängt also direkt von der Entwicklung der künftigen Unternehmens- gewinne und dem langfristigen Zins als dem Abdiskontierungsfaktor ab. Bei den Unternehmens- gewinnen kann man davon ausgehen, dass sie aufgrund der wachsenden Weltbevölkerung und zahlreicher Innovationsschübe (Biotechnologie, alternative Energien, autonomes Fahren, Robotic, Digitalisierung etc.) weiter mit ca. 4 % nominal jährlich – wie im Durchschnitt der letzten 130 Jahre – wachsen werden.
Bei den Zinsen deutet sich allerdings ein Paradigmenwechsel an. Das so genannte FED-Modell geht davon aus, dass die faire Bewertung an den Aktienmärkten ermittelt werden kann, indem man 100 durch die Rendite zehnjähriger Anleihen dividiert. Und tatsächlich lag das Kurs/Gewinn Verhältnis in der Vergangenheit bei einem durchschnittlichen 10-Jahres-Zins von 6 % im Schnitt auch bei 16 bis 17.
Sollte die neue Normalität an den Zinsmärkten sich künftig aufgrund der hohen Staatsverschuldung langfristig statt bei 6 % bei 3 % in der 10-Jahres-Rendite einpendeln, ergäbe sich für die Aktienmärkte als innerer Wert ein KGV von 33. Zur Beachtung: Zehnjährige Bundesanleihen rentieren derzeit mit 0,3 %. Wir gehen also bereits von einer Verzehnfachung des Zinsniveaus in den nächsten fünf Jahren aus.
Sieht man sich die aktuelle Situation an den Aktien- und Rentenmärkten an, sind Anleihen viel zu hoch bewertet und Aktien viel zu tief. Nach dem Prinzip der kommunizierenden Röhren werden sich diese riesigen Bewertungsunterschiede auf längere Sicht angleichen – indem die Aktienkurse stark ansteigen oder die Anleihekurse stark fallen (oder beides).
 
Wie man sieht, gehen wir von einem deutlichen Zinsanstieg in den nächsten fünf Jahren aus – sonst wären die Bewertungsunterschiede noch absurder. Unter anderem, weil wir eine Rückkehr der Inflation erwarten. Wir stehen damit im Widerspruch zu dem Großteil der Experten, die niedrige Zinsen und Inflationsraten noch für lange Zeit erwarten
 
Warum wir steigende Inflationsraten in den nächsten Jahren erwarten:
1) Notenbankpolitik:
Seit dem zweiten Ölpreisschock im Jahr 1982 haben die Zentralbanken die Inflation bekämpft, indem sie die Geldmarktsätze permanent uüber den Teuerungsraten hielten. Dies war sehr wirksam. In den letzten Jahren haben sich die Ziele geändert. Man will deflationäre Tendenzen bekämpfen und strebt Inflationsraten von 2 % an. Deshalb liegen die Geldmarktsätze in allen wichtigen Industriestaaten deutlich unter der aktuellen Inflationsrate. Auch diese Politik wird ihre Wirkung nicht verfehlen. Fatal ist nur, dass die Notenbanken in dem Irrglauben verharren, sie könnten die Teuerungsraten bei 2 % einfrieren.
2) Globalisierung:
Die Globalisierung und der Siegeszug des Internets hatten einen stark deflationären Einfluss auf die Produktpreise. Erstens durch die Verlagerung von Produktion in Niedriglohnländer. Zweitens konnte jeder Handwerker mit wenigen Clicks auf seinem Handy sehen, wo er weltweit die billigsten Anbieter für die benötigten Schrauben findet. Gleichzeitig entstanden in Schwellenländern wie China riesige Überkapazitäten. Als Folge fielen die Produzentenpreise in China Anfang 2016 auf minus 6 % – das Land exportierte also Deflation. Inzwischen sind die Globalisierungseffekte aber ausgelaufen und auch in den Billiglohnländern steigen die Produktpreise. In China liegen sie bereits bei plus 7 %, d.h., das Land exportiert jetzt Inflation.
3) Lohn- und Kreditexpansion:
Ein zentrales Argument der „Deflationisten“ ist, dass sowohl die Löhne und Gehälter als auch die Kreditnachfrage nur schwach steigen und deshalb eine beschleunigte Inflation gar nicht möglich ist. Das ist eine verengte Sichtweise. Denn in China, das wesentlich das weltweite Wirtschaftswachstum trägt, steigen die Löhne seit Jahren zweistellig. Und auch bei uns und in den USA machen sich der Mangel an Fachkräften und das gute Wirtschaftswachstum zunehmend in höheren Gehaltsforderungen bemerkbar (die IG-Metall fordert 6 % mehr Lohn). Ähnlich sieht es mit der Kreditnachfrage aus. In China steigt sie um 18 %, doch auch bei uns zieht sie an.
4) Rohstoffzyklus:
Die Preise für Energie und Rohstoffe ziehen an. Einer stetig wachsenden Nachfrage aufgrund der weltweit guten Konjunktur und riesiger Infrastrukturprojekte (neue Seidenstraße) steht gegenüber, dass die großen Rohstoffkonzerne in den letzten Jahren ihre Investitionen in die Erschließung neuer Vorkommen aufgrund der niedrigen Preise drastisch gekürzt haben. Auf der Suche nach den Oasen in der Zinswüste favorisieren wir Shortpositionen in Zins-Futures, inflationsgeschützte Anleihen und hochverzinsliche Lokalwährungsanleihen aus den Schwellenländern. Es ist aber möglicherweise noch Geduld gefragt, bis Investoren die hohe Bewertung von Staats- und Unternehmensanleihen endgültig infrage stellen und sich stärker den oben genannten Themen widmen, die bisher von der Mehrheit der Marktteilnehmer noch wenig beachtet werden.
Dezember 2017
Tilmann Speck
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Quelle: Plan F, Robert Shiller, StarCap