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Sind börsengehandelte Indexfonds für Privatanleger wirklich so interessant?

von | 06.05.2015

1870 machte sich unter Kunstmalern Verzweiflung breit. Der Siegeszug der Fotografie wurde immer offensichtlicher. Spätestens mit der bereits absehbaren Erfindung der Farbfotografie, so die allgemeine Überzeugung, würde die eigene Kunst überflüssig werden. Niemand würde mehr ein Gemälde kaufen oder gar bestellen. Viele mittelmäßigen Maler verloren auch tatsächlich ihr Geschäft. Und es vermisst sie bis heute niemand.
Es gab aber auch Maler, denen die Erfindung nicht geschadet hat. In Paris entstand der Impressionismus, dessen Landschaften und Portraits von keiner Kamera einzufangen waren. Und so änderte sich die Malerei und überhaupt die Kunst zum besseren und ist noch immer nicht untergegangen.
Heute erleben wir wieder eine Technikwelle und diese sorgt wie damals für Angst vor Überflüssigkeit. Dieses Mal ist es die furchterregende Kombination von Big Data und mobilem Internet. Smartphones können alles und ersetzen alles. Ob Personal Trainer, Ernährungsberater oder meine Banküberweisung. Für alles gibt es eine App. Meine Fotos liegen in der Wolke und einen Fotoapparat braucht scheinbar niemand mehr.
Nichts anderes erlebt die Fondsbranche. Viele hatten sich in den letzten Jahrzehnten hier gemütlich gemacht und eine ideenlose Abbildung der Märkte als große Kunst verkauft.

So liegt der Durchschnitt der „aktiv gemanagten“ Fonds immer etwa 1,5% schlechter als der Index, der ohne diese Kosten auskommt. Eine solche Situation schreit nach einer technischen Lösung, in diesem Fall nach einem Indexfonds. Wenn es schon kaum jemand schafft, den Index zu schlagen, dann ist es doch sinnvoll, einen Fonds zu machen, der mit möglichst wenig Kosten einfach nur den Index abbildet. Warum nach mehr streben, wenn dies augenscheinlich das Maximum ist? Und durch den Einsatz von Computern ist es kein Problem, einen Fonds zu machen, der sekundengenau die Wertentwicklung des Index abbildet. Hinzu kommt die Theorie der effizienten Märkte. In dieser bescheinigen eine Reihe von hochgelehrten Professoren die Unmöglichkeit, den Markt (d.h. den Index) zu schlagen. Sie sehen den Markt als eine gewaltige Informationsverarbeitungsmaschine, die jederzeit alle verfügbaren Nachrichten zu Börsenkursen verdaut. Und so verbinden sich Theorie und Informationstechnologie und bringen etwas Wunderbares hervor, die börsengehandelten Indexfonds (ETFs).
Und wenn diese auch noch von automatisierten Vermögensverwaltern wie Wealthfront.com („Robo-Advice“) ge- und verkauft werden, dann kann im Vermögensaufbau eigentlich nichts mehr schief gehen, meint man. Es sieht so aus, als seien mit der Erfindung der ETFs alle Probleme gelöst. Man spart sich den blöden und überbezahlten Fondsmanager und bekommt endlich die Wertentwicklung, die man verdient.
An dieser Idee ist viel Wahres dran, so wie in der Fotografie viel echte Kunst steckt. Aber es wäre die erste gute Idee, welche die Finanzindustrie nicht für ihre ganz eigenen Zwecke eingesetzt hätte. Die Theorie hält nur, was sie verspricht, wenn man mit einem sehr langen Zeithorizont und hoher Risikotoleranz gesegnet ist, ausschließlich in den MSCI World investiert und dies jahrelang durchhält (d.h. der Richtigkeit der Theorie unbedingt vertraut). Und diese Voraussetzung ist in den seltensten Fällen gegeben.
Der durchschnittliche Privatanleger liegt nämlich nicht 1,5% pro Jahr schlechter als der Index sondern sehr viel mehr. Für die USA gibt es dazu hier die besten Daten, aufbereitet von der Research-Firma Dalbar. Danach hat der US-Aktienmarkt in den letzten 30 Jahren um 11,6% pro Jahr zugelegt, der Durchschnittsinvestor in Aktienfonds hingegen nur 3,8%.
Mit Anleihen hat er lediglich 0,7% p.a. verdient, deutlich weniger als die Inflationsrate von 2,7% und die Performance des Anleihenindex von 7,4%.
Klar ist, dass das schlechte Abschneiden der Privatinvestoren sich nur zu einem geringen Teil auf die Fonds schieben lässt, in die sie investieren. Von den knapp 8%, die sie etwa bei den Aktien liegen lassen, geht etwa 1% auf Kosten der Fondsmanager, aber die restlichen 7% bleiben dadurch noch immer ein Rätsel. Das Rätsel löst sich auf, wenn man sich vergegenwärtigt, welches die sechs größten Fehler sind, welche bei Investitionen in Aktien oder Anleihen gemacht werden (das selbe gilt wohl auch für Immobilien oder Kunst oder Wagniskapital, aber da kenne ich mich nicht aus):
1. Zum falschen Zeitpunkt kaufen
2. Zum falschen Zeitpunkt wieder verkaufen
3. Bewertungen ignorieren
4. Kein Verständnis für das zugrundeliegende Geschäftsmodell haben
5. Dem Spieltrieb nachgeben und Moden folgen (heiße Tips für heiße Sektoren bzw. Namen)
6. Zu wenig diversifizieren
Die Daten von Dalbar zeigen darüber hinaus, dass die Divergenz zwischen der Wertentwicklung der Indices und der Investorenportfolios am größten ist, wenn die Märkte zum Extrem neigen. Fonds werden massiv gekauft, wenn die Wertentwicklung der letzten Jahre sehr gut war und die Angst, etwas zu verpassen, sich breit macht. Das ist dann meistens der Höhepunkt im Zyklus der Börse. Und sie verkaufen, wenn die Aussichten finster sind und die Verluste der letzten ein bis drei Jahre hoch sind. Auf diese Weise machen sie den Abschwung fast vollständig mit, während sie dem Aufschwung nur staunend von weitem zusehen. Und dann schimpfen sie, dass die Börse ein Kasino ist und der Fondsmanager ein Idiot.
Nun ist nicht zu sehen, wie der Einsatz von ETFs dem Durchschnittsanleger in Fonds wesentlich weiter helfen kann. Gewiss ist es gut, wenn durch Indexfonds die unfähigen und nur dem Namen nach aktiven unter den Fondsmanagern (das betrifft etwa die Hälfte) verschwinden. Aber das Grundproblem bleibt oder wird sogar noch verschärft: Wie wird der Anleger vor sich selbst beschützt, sind doch seine Leidenschaften und spontanen Ideen das eigentliche Problem?
Die ETF-Industrie macht es eher noch schlimmer: Sie suggeriert, dass das Hauptproblem des Investierens durch den Einsatz ihrer Produkte gelöst ist. Und da sich offensichtlich viele Menschen finden, die das glauben, gibt es heute allein in den USA 1.439 ETFs (Stand: März 2015), in Europa fast ebenso viele. Das ist recht viel für ein Produkt, das aus einer Theorie entstanden ist, wonach man eigentlich nur einen Indexfonds benötigt, der den Markt möglichst breit abbildet, also den MSCI World Index. Die ETF-Branche verkauft neben dem einen sinnvollen Produkt vermutlich etwa 1.400 unsinnige Produkte: Indexfonds auf Branchen, Länder, Regionen, Immobilien, Rohstoffe, gehebelte Indexfonds, doppelt gehebelte Indexfonds – der finanziellen Phantasie ist hier keine Grenze gesetzt und die Finanzbranche ist glücklich, jedem Spieler etwas passendes zu liefern. Nun werden die Fehler, die bislang mit konventionellen Fonds oder Aktien gemacht wurden, mit Wonne in ETFs gemacht. Man kauft keine heiße Aktie oder Themenfonds mehr, sondern einen heißen Sektor- oder Länder-ETF. Das Ergebnis dürfte im Wesentlichen dasselbe sein.
Durch gedankenlose Indexverfolgung hatte Japan im Jahr 1989 ein Gewicht von 45% im MSCI World Index, in den es 1980 überhaupt erst zugelassen wurde. Von den damals 10 wertvollsten Unternehmen auf der Welt waren damals sieben japanische Banken. All das war Resultat indexnahen Investierens. Ich habe nichts gegen Indexfonds, wir setzen sie selber ein. Störend ist nur wie immer die Weise, wie diese Produkte verkauft werden – als Lösung aller Probleme. In der Regel werden sie, als das Vehikel der Spekulation, zu dem sie verkommen sind, die Wertentwicklung der Depots nur marginal verbessern – wenn nicht sogar verschlechtern, indem sie zu noch einfacherem Handel einladen. (Konventionelle Fonds werden in der Regel natürlich auch falsch verkauft – aber das ist hier nicht das Thema.)
Für die Fondsindustrie bedeutet der Aufschwung der ETFs etwas Ähnliches wie das Aufkommen der Fotografie für die Malerei: Die schlechten werden verschwinden (das ist nicht schade) und die guten werden mehr denn je erklären müssen, was sie warum tun. Es wird immer einen Markt geben für Anleger, die eher einen Menschen am Werk sehen wollen als eine Mechanik, die sich ohnehin in absehbarer Zeit wieder ändern wird.
Wenn es Fondsmanagern (und allgemein: Vermögensverwaltern) gelingt, in euphorischen wie in depressiven Marktphasen die Nerven zu behalten und ihr Handeln offen und klar zu erklären, werden die Anleger genügend Vertrauen in deren Fähigkeiten haben und nicht in ihre eigenen alten Fehler verfallen. Diese kommunikative Fähigkeit ist, neben einer guten Wertentwicklung ihrer Fonds, die wesentliche Daseinsberechtigung von Fondsmanagern, denn sie allein bewahrt die Vermögensinhaber in der Regel vor den wirklich teuren Torheiten. Auf ein Prozent mehr oder weniger relativ zum Index kommt es dann nicht an. Und der Markt, über den wir ja eigentlich zu reden aufgefordert sind? Er ist volatiler geworden, der Rentenmarkt und die Währungen noch mehr als der Aktienmarkt. Daran wird man sich gewöhnen müssen. Eine grundsätzliche Wende ist aber noch nicht zu erwarten, noch immer erholt sich die Wirtschaft in der Eurozone (gut für deren Aktien), noch immer geht es der Wirtschaft in den USA besser als im Rest der Welt (gut für den Dollar), noch immer kauft die Europäische Zentralbank Anleihen (das drückt die Zinsen in Euroland). Und solange die Zinsen niedrig, die Gewinne der Unternehmen gut (und die Dividendenrenditen höher als die Zinsen) und die Bewertungen moderat sind, wird an den Aktienmärkten nach unten nicht viel passieren.

Quelle: Plan F Research, Dr. Georg Graf von Wallwitz